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D2C oder T2C? Der richtige Weg zum Endkunden

22. November 2022|17 Minuten

Ralph HübnerEin Interview mit Ralph Hübner, DTC- und Marktplatzberater, E-Commerce Experte für Hersteller bei ecom-Consulting sowie Co-Founder von Direct-Brands.de

Wofür steht der Begriff D2C?

Der Begriff D2C* steht für Direct-to-Customer/Consumer und hat sich im E-Commerce inzwischen fest etabliert. D2C-Marken verkaufen direkt an den Endkonsumenten und starten in der Regel ohne stationären Handel. Ich betone gerne, dass das C (Customer) sowohl für den Endkunden im Sinnes des Konsumenten steht als auch für den Kunden im B2B-Segment. Der direkte Kundenzugang (und nicht nur das Verkaufen!!) ist inzwischen auch in B2B- bzw. Profimärkten sehr wichtig. Ganz wichtig im Sinne von Aufklärungsarbeit ist m.E. auch, dass man D2C nicht mit Direktvertrieb übersetzt und gleichsetzt. Leider wird das in Deutschland viel zu oft getan und dabei geht der Großteil der D2C-Magie, des Verständnisses um was es hier wirklich geht, verloren. Es geht in erster Linie um das Etablieren des direkten Kundenkontakts für Markenhersteller, das Verkaufen ist dann eine Option in der Journey. Eine nicht unwichtige, aber das Verkaufen können im Zweifel andere auch oder sogar besser (Handelspartner, Amazon, etc.)

 

Wann kam das Thema D2C auf?

Das Thema D2C gibt es natürlich schon lange, natürlich vor allem in der Direktvertriebsform wie es Vorwerk, Tupperware, DELL oder Avon betrieben habe. Wenn wir vom D2C-Modell des digitalen Zeitalters sprechen, dann wird der Beginn oft auf den Zeitraum um das Jahr 2010 datiert und erlebte zwischen 2014 und 2018 in den USA eine erste Hochphase. In Deutschland ist D2C erst in den letzten 2 Jahren in aller Munde – besonders seit Corona. Wir sollten hier aber auch unterscheiden zwischen den D2C-Initiativen der etablierten Marken und den neu entstandenen D2C-Brands.

 

Können Sie uns Beispiele nennen?

Es werden (leider) immer die gleichen Beispiele genannt wie Allbirds, Casper, Peloton, Y-Food oder auch die „Konzern-Initiativen“ wie Avoury von Melitta oder Kalea von Kärcher. Dabei sprechen wir von einem wahrhaftigen Massenphänomen der D2C-Brands. Bei uns in der Datenbank sind aktuell bereits rund 2.500 Brands!

 

Warum ist das Thema DTC durch Corona so aufgeflammt?

Viele etablierte Marken hatten das Thema schon in der Schublade, andere sind durch ihre erodierenden Handelspartnerkanäle oder auch die Vielzahl der D2C-Newcomer so in Bedrängnis, dass sie unmittelbar handeln müssen. Für viele war das ein unausweichlicher Move. Man sehe sich nur den Kosmetik-Bereich an. Zum einen, wie viele neue Brands hier nun aufkamen und wie aktiv die etablierten wie Henkel, Beiersdorf, L’Oreal & Co nun auf einmal sind in Sachen DTC. Das ist schon atemberaubend. Das hat ursprünglich nicht so viel mit Corona zu tun, sondern, dass die Zielgruppen einfach auf Insta, Facebook, Amazon, Zalando etc. ansprechbar sind und der Markt dadurch neu verteilt wird. Natürlich kam durch Corona dann noch ein Boost hinzu als sowohl die ganzen Kosmetikhändler wie Douglas geschlossen waren und zugleich alle Kosmetik-Studios und -Institue ebenfalls. Da war sowohl der Consumer als auch der Profi-Markt dicht und die Marken haben nach alternativen Kontakt- und Absatzventilen gesucht.

Aus Markensicht geht es – wie gesagt- nicht nur um den Verkauf, sondern auch um den Kundenkontakt, um die Deutungshoheit und da spielt dann auch noch das Thema online-Betrug eine Rolle: Während Corona gab es eine drastische Zunahme von Fake-Shops und sonstigen Betrugsversuchen. Eine bekannte Automarke musste feststellen, dass ca. 50 Millionen gefälschte Teile im Umlauf sind und ihre Jahrzehnte aufgebaute Reputation gefährden. Das Thema ist so brisant, dass es in der Öffentlichkeit kaum kommuniziert werden kann, ohne dabei ganze Branchen zu gefährden.

 

Was macht DTC so reizvoll?

Die Möglichkeiten für Marken ihre Kunden direkt anzusprechen, sind heute nahezu Schlaraffenland-artig. Früher haben die Händler den Kundenzugang beherrscht. Alle, die sich keine TV-Werbung leisten wollten oder konnten, hatten dann kaum eine Chance, landesweit die entsprechenden Zielgruppen anzusprechen. Heute stehen mir als Marke mittels verschiedener digitaler Kanäle alle Optionen offen. Ich kann meine Zielgruppen genau identifizieren und aktivieren, und zwar Push und Pull. Auf Amazon, OTTO, Zalando, TikTok, Insta, Facebook, Discord usw.

Besonders junge Labels nutzen D2C mit einer atemberaubenden Fertigkeit was Targeting und CRM-Konzeption angeht. Mit Mut und einer gezielten Strategie, optimaler Customer Experience und Kundenzentrierung, ziehen sie häufig erfolgreich an etablierten Marken vorbei und „raisen“ auch noch Investments in nie dagewesenen Höhen. Dabei treffen sie auf eine neue Generation von Käufern. Denn junge Käufer unterscheiden nicht mehr unbedingt zwischen Hersteller und Händler. Sie kaufen bei denjenigen ein, die ihre Bedürfnisse optimal bzw. „fehlerfrei“ befriedigen. Wichtig ist für diese Käufer: Das Produkt schnell und sicher zu erwerben, mit gutem Service- und Liefer-/Retourenversprechen. Eigentlich Basics, die aber leider von vielen etablierten Marken und Händlern im Web noch nicht ausreichend geleistet wird.

 

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Was macht diese jungen Label so erfolgreich?

Es gibt eine ganze Reihe an Erfolgsmustern. Um ein paar zu nennen: Sie brechen rigoros mit vielen Branchenregeln wie Saisontaktungen, sie lösen real-world-problems mit ihren Produkten oder Services . vor allem aber reduzieren sie Komplexität radikal indem sie oft nur ein Produkt oder einen Use Case anbieten und zielgruppenscharf vermarkten. Wichtig und oft übersehen: sie verkaufen nie, ohne einen digitalen Touchpoint für das Up- und Cross-Selling zu etablieren. Sie stellen das CRM-Modell ins Zentrum ihres Business und auch Technologie-Set-ups.
Allen gemein ist: Sie beherrschen die Regeln des Resonanzmodells.

 

Heißt das, etablierte Marken haben kein Resonanzmodell?

Nur sehr wenige. Klar, viele Brands haben eine gute Markenbekanntheit oder sogar Fanbase, aber sie verstehen es kaum, diese digital weiter zu entwickeln und dann auch zu kapitalisieren. Fragen Sie mal bei den etablierten Marken nach, wie sie ihren Customer Lifetime Value kalkulieren und optimieren bzw. die Customer Akquisition Costs drücken. Die wenigsten haben darauf eine Antwort. Und die Antwort hat fast immer was mit dem jeweils passenden Resonanzmodell zu tun. Soll heißen: Wie schaffe ich es, dass meine Kunden immer wieder zu mir zurückkommen, sie mir ihre Bedürfnisse und Kontakteinwilligung geben oder dass meine Kunden andere Kunden werben (sprich NPS, Ambassador, Referrals etc.). Wenn man als Marke jetzt neu anfängt, wie es die D2C-Brands tun, dann kann man natürlich ohne Altlasten an die Konzeption eines solchen Resonanzmodells rangehen. Sei es beim Produkt, bei den Services oder in Sales- & Marketing. Etablierte Hersteller tun sich da schon schwerer, keine Frage. Stichwort fehlendes D2C-Mindset und „kämpfen gegen die internen Windmühlen“. Zugleich muss man – und das tun nach meiner Wahrnehmung heute deutlich mehr als noch vor zwei Jahren – der nahenden Realität ins Auge sehen: und die heißt „Das Ende der Third Party Cookie Ära naht“. Und damit wird klar, dass alle Marken eine „First Party Data Strategie“ benötigen. Das ist essentiell. Und wenn man sich an diese Aufgabe macht, dann ist man nicht nur beim Resonanzmodell, sondern dann setzt man den Endkunden wirklich ins Zentrum und die Marke wird „D2C-first“. Das ist mein Dogma, davon bin ich überzeugt. In wenigen Jahren sind alle relevanten Marken „D2C-first“! Wohlgemerkt, das heißt nicht, dass sie nicht mehrstufig vertreiben. Das ist hiervon unabhängig.

 

Ist denn D2C für jeden Hersteller sinnvoll?

Ich würde sagen: fast uneingeschränkt ja. Eben im Sinne des eben erwähnten D2C-first, in der DNA des Unternehmens muss D2C verankert sein. Den direkten Kundenkontakt sollten alle aufbauen. Aber nicht den Direktvertrieb. D2C ist nicht der heilige Gral. Viele Marken, die jetzt auf D2C im Sinne eines eigenen Webshops setzen, werden bald ernüchtert und frustriert sein. Denn der Aufwand ist enorm und lässt sich nicht aus der Portokasse finanzieren. Obendrein haben viele durch Corona reduzierte Kapitalreserven. Eine etablierte Marke auf zukunftsträchtigen Direktvertrieb umzustellen, geht leicht in die Millionen. Das ist dann nicht nur der Webshop und die Backend-Systeme, sondern das Personal, die Logistik, das Data-Management usw..

 

Neben dem finanziellen Einsatz: Was ist für D2C erforderlich?

Ich wollte es gerade sagen. Die Kosten für IT und Personal sind das eine und noch relativ gut berechenbar. Aber das aufwändigere, anstrengendere und wichtigere ist Cultural Change. Wir sprechen hier von dem berüchtigten Paradigmenwechsel für viele Firmen. Es geht um Bereitschaft, Energie, Flexibilität und das richtige Mindset. Die Marke muss sich plötzlich mit Themen auseinandersetzen, um die sie sich bisher nie kümmern musste. Beispielsweise: Wie hoch sind Customer Aquisition Costs? Wie hoch ist meine Retourenquote? Deckt die Marge meiner Produkte Retourenkosten ins Ausland ab? Diverse neue Disziplinen, tausende Details – die fast alle zusammenhängen und fiese Zirkelbezüge aufweisen. Ein echte Challenge. Diese radikale Umstellung von „Ich bin Hersteller“ zu „ich bin Händler“ will ich den meisten Brands nicht zumuten. Wir raten deshalb oft, das Ganze als T2C-Konzept zu denken

 

Was bedeutet T2C?

T2C bedeutet Together-to-Customer. T2C vereint das Beste aus zwei Welten. Die Marke agiert direkter, bindet seine Handelspartner oder Dienstleister aber ebenfalls gezielt ein. Eine gänzlich neue Form der Kooperation. Ob man hier die Aufteilung bei Sortimenten, Kanälen oder in der Wertschöpfungskette macht (Marketing – Vertrieb – Lieferung – Montage/Wartung) ist dann eine fallspezifische Frage. Ich bin jedoch absolut überzeugt, dass es HEUTE ein sehr probates Vorgehen ist, erst mal die Energie in einen T2C-Ansatz zu stecken.

 

Für wen ist T2C geeignet?

Ideal ist T2C ist besonders für Hersteller und Marken erklärungsbedürftiger, gefahrengeneigter und werthaltiger Produkte. Ebenso Marken, die auf Nachhaltigkeit setzen, service- und wartungsintensive Produkte oder Komponenten herstellen.

 

Und was bringen die Händler in T2C ein?

Die Erfahrung der Handelspartner in der jeweiligen Branche. Viele Marken haben ein breites Produktangebot und verkaufen vertikal, wie horizontal. Nehmen wir eine Marke wie Thule, die von Dachboxen, über Fahrradanhänger auch Reisegepäck verkauft. Die Marke müsste Vertriebserfahrung in allen Branchen haben, um optimal zu verkaufen.

 

Wird T2C D2C ablösen?

Es wird Marken geben, die primär auf D2C setzen. Etablierte Marken werden eher auf T2C setzen. Heute nennt man das natürlich eher „multichannel“, nicht wahr? Together betont aber den kooperativen Charakter und den sehe ich bei den Multichannel-Konzepten noch nicht so. Das ist eher „überall verkaufen“ oder „unkoordinierter Kannibalisierungsvertrieb“

 

Warum?

Erstens: Etablierte Marken brauchen den Schulterschluss mit ihren Händlern und sie sind auch eher auf Augenhöhe mit ihrem Handel.
Zweitens Die Loyalität der Consumer gegenüber Marken nimmt bereits seit Jahren stetig ab, der Wettbewerb und Fake-Shops nehmen drastisch zu. Auch Online-Bedenkenträger oder -Verweigerer, wie beispielsweise Hersteller von Luxusuhren, haben spätestens seit Corona erkannt, dass sie digital verkaufen müssen.

 

Wie können Marken das Vertrauen der Konsumenten zurückgewinnen?

Keine leichte Aufgabe. Aber sehr lohnenswert. Ich denke, dass viele Marken auf ihrer jetzt begonnen D2C-Reise schnell lernen, dass leere Marketingversprechen keine Option mehr sind. Sie werden lernen ehrlicher mit ihren KonsumentInnen zu kommunizieren und auf ihre tatsächlichen Bedürfnisse einzugehen. Auf der anderen Seite ist es enorm wichtig, dass sie dann auch ihr Händler- und Partnernetzwerk noch besser auswählen und auch kennzeichnen, im Sinne von „das ist ein guter Händler von uns, der kann was, der arbeitet nachhaltig, der hilft Dir auch wenn es mal knirscht“.
Eine spannende Lösung für den digitalen Handel bietet die Autorisierungsplattform authorized.by, ein Mitglied der TÜV Saarland Gruppe. Über die Plattform wird das Echtzeit-Siegel „Authorized Partner“ vergeben, das im Siegel die Beziehung zur Marke verdeutlicht. Ein solcher branchenübergreifender Standard ist ein deutliches Signal für den Endverbraucher, bei einem verifizierten Händler einzukaufen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass es das auch auf Amazon, Instagram und all den anderen Plattformen gibt, damit man die passenden Händler bzw. Vermarkter leichter identifizieren kann.

 

Wie sieht ein solcher „guter Händler“ aus?

Da gibt es unterschiedliche Aspekte. Ein Markenpartner bewegt sich im passenden Umfeld, zeichnet sich durch gute Beratung und Serviceleistung aus, hält seinen Product-Content aktuell und achtet auf ausreichende Verfügbarkeit der Produkte. You name it. Die Ziele- und Compliance-Liste ist hier beliebig lange. Wichtig ist, dass die Marke für sich definiert, was in ihrem Case und bezogen auf die Zielgruppe die relevanten Aspekte sind.

 

Bleibt abschließend noch die Frage: Ist es für den Verbraucher nicht besser, direkt von der Marke zu kaufen?

Viele Vertriebswege werden zukünftig nebeneinander bestehen. Es gibt so viele unterschiedliche Customer Journeys. Der Konsument möchte sich von neuen Marken inspirieren lassen und dann auch Leistungen und Preise vergleichen. Neben D2C-Angeboten boomen heute nischenspezifische Pure-Play-Stores ebenso wie Marktplätze. Die gelebte Vielfalt im Digital Commerce ist ein anzuerkennender Fakt und deshalb ist es aus Sicht einer Marke empfehlenswert, dem Endverbraucher stets Orientierung und Sicherheit zu geben. Egal ob es im eigenen Webshop ist oder in Shops und Portalen von Vertriebspartnern.

 

*Die Schreibweise – DTC oder D2C – ist nach wie vor nicht geklärt.